Was 40 Jahre lang funktioniert hat, wird bis in alle Ewigkeit funktionieren: Läuft ein Lied der Pet Shop Boys, reicht jene minimalistische Bewegung, mit denen in den Achtzigerjahren Discoprinzen und -prinzessinnen unterwegs waren. Linkes Bein zur Seite, Fuß aufsetzen, rechtes Bein nachziehen, rechten Fuß an den linken antippen, gleiche Bewegung zurück. Immer und immer wieder. Der Unterschied zu damals: Beim Konzert der Pet Shop Boys am Sonntagabend, das mit 4300 Besuchern in der Frankfurter Jahrhunderthalle gefüllt war, wagen auch jene Männer diesen Move, die früher lässig am Rand der Tanzfläche gestanden sind. 40 Jahre später (ja, so lange gibt es die Pet Shop Boys schon) tanzen wirklich alle.
Nach zweimaligem Verschieben der „Dreamland“-Best-of-Tour wegen Corona haben Sänger Neil Tennant (67) und Keyboard-Mastermind Chris Lowe (62) für exakt zwei Stunden die original Achtziger-Disco zurückgeholt. Schon beim ersten Song, „Suburbia“, stehen alle auch auf den Tribünen. Die Stimmung war schon vom ersten Song an gigantisch, man fühlte sich in die 80iger Discozeiten original versetzt.
Die Pet Shop Boys sind Superstars des Synthie-Pops, der nicht wehtut und bis heute im Radio rauf und runter läuft. Laufen oder gar rumturnen auf der Bühne, das machen weder Tennant noch Lowe. Plus ein paar Interaktionen von Neil Tennant mit dem Publikum, während Chris Lowe den unantastbaren Maschinisten gibt. Dazu eine moderne digitale Lichter-Glitzershow – fertig ist die gelungene Transformation von Achtziger-Pop ins Jahr 2022.
Während der ersten Songs stehen Tennant und Lowe in weißen Mänteln und mit undefinierbaren Gesichtsmasken am vorderen Rand der Bühne, während die vierköpfige Begleitband zunächst unsichtbar dahinter agiert. Mit den legendären Drum-Synthesizern, die in den Achtzigern ein Muss waren. Später ziehen sich die beiden um und verschmelzen mit der nun sichtbaren Band. Sie tragen anfangs lustige Helme, die etwas an die Maskeraden von Daft Punk erinnern: Spiegelglatt polierte Chrommasken mit steil nach oben ragenden Zylinder. Tasten-Mann Low dagegen trug wie eh und je Basecap. Oder aber, wie am Anfang des formidablen Konzerts, ein bekloppt-exzentrisches Gadget ums Haupt geschnallt. Sah aus wie ein Geweih, designed by Apple. Low und Tennant standen bei den ersten Stücken wie festgetackert unter retro-futuristischen Straßenlaternen. Stoisch wie die Männer von Kraftwerk, aber britischer im Mut zur schicken Lächerlichkeit. Der Umhang, den Tennant trug, war irgendwas zwischen Chefvisiten-Kittel und mondänem Morgenmantel.
Hier werden die größten Hits der Band gespielt, das ist das Konzept der „Dreamworld“-Tour. „Suburbia“ „You’re always on my mind“, „Rent“, „Domino Dancing“, „Heart“, „It’s a Sin“, „West End Girls“, „Go West“, „Left to my own devices”, “Where the streets have no name (I Can’t Take My Eyes Off You)”, “Heartbeat”: Das ist alles dabei und hält das Publikum im Stehen, die Stimmung ist herausragend gut. Tennant erzählt dabei wenig von sich, auch das gehört ja zum Konzept. „Domino Dancing“? Das habe man mal im Urlaub in der Karibik erfunden, da spielten beide dauernd Domino gegen einen, der dann immer gewann und daraufhin tanzte. Das zweitletzte Stück des Abends, der Übersong „West End Girls“, jene Fanfare auf das verbrauchte Großstadtleben, das alle Zweifel ausräumte. Auf den Bildschirmen hinter den Musikern flackerten Ausschnitte des Videoclips von 1984, und das damalige Blutjungsein entlarvte so schlagend die akustische Täuschung. Tennant ist längst kahl geworden, er versteckte es nicht.
Inklusive Zugaben spielen die Pet Shop Boys 26 Stücke. Jedes für sich unsterblich. Und wer die Augen schließt oder sich auf das eine und andere alte Musikvideo der jungen Pet Shop Boys konzentriert, das auf der Leinwand läuft, denkt: „Hey, ich bin ja wieder in meiner Jugenddisco!“ So perfekt singt Tennant noch heute mit seiner unverwechselbaren Stimme. Das Publikum war begeistert, tobte, klatschte tanzte, ein rundum gelungener Abend.